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ihre jetzige Gestalt gab. Die oft leichthin ausgesprochene Feststellung ‘Gestaltzerfall’ ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Maler unter LSD sein Konzept nicht mehr zeichnerisch verwirklichen konnte. Das war hier der Fall bei Friedrich Scheuer; das Versuchsprotokoll gibt darüber Auskunft, Regression ließ die Bildgestalt bei Gerhard Hoehme zerfallen. Dieser Vorgang unterscheidet sich jedoch grundlegend von der Gestaltbildung im LSD-Bewußtsein, so bei Michael Coudenhove- Kalergi: hier decken sich die Bildinhalte der veränderten Psyche und die zeichnerische Darstellung; es handelt sich um Bildmotive einer Regression des bildnerischen Aus­drucks, also eines folgerichtig vorgetragenen Prozesses. Bei Friedereich Hundertwasser schließlich war ein - durch körperliche Übelkeit ausgelöster - Gestaltungszerfall zu�
registrieren; es handelte sich um Störungen der Kontinuität des Malens, ausgelöst durch Skepsis gegenüber dem eigenen Tun.
b Anschauung - psychotoxisches Anschauungsbild — Bildvorstellung - Malprozeß - Darstellung - Bildinterpretation
Nach psychologischen Gesichtspunkten werden von solchen Bildern häufig Rückschlüsse auf ihre Urheber gezogen, wobei eine Identität von Bildner und Bildwerk angenom­men wird. Vorschnell stellen diese Beurteiler einerseits Anschauung, Bildvorstellung, Malprozeß und Darstellung des Künstlers sowie andererseits die psychodynamische Bildwirkung auf eine Ebene. Der Begriff ‘Anschauung’ wird hier im Sinn von Intuition gebraucht; gemeint ist ein Bild, das unmittelbar im Innern aufsteigt, ein intuitives Anschauungsbild. Unter LSD wandelt es seinen Charakter: als psychotoxisches An­schauungsbild entsteht es auf einer Art innerem Bildschirm, und es verselbständigt sich zur Illusion oder Halluzination. Davon unterscheidet sich die Bild-Vorstellung durch ihre Zielstrebigkeit, die unter LSD kontinuierlich abgebaut wird. Der Malprozeß be­ginnt mit dem zentralnervösen Impuls und endet in der Darstellung. Das Dargestellte ist mehrdeutig und wird unter LSD wegen des subjektiven Gehalts undeutbar. Für Coudenhove-Kalergi bedeuten die grafischen Relikte auf seiner Zeichnung Angst; die psychodynamische Bildinterpretation, also die Bildwirkung auf den Betrachter, war in diesem Fall ausgeschaltet, weil er die Angst anhand des Dargestellten nicht nachvoll­ziehen konnte.
Um LSD-Bilder mit Bildern der sonstigen Kunstproduktion wissenschaftlich exakt zu vergleichen, reicht das vorliegende Material nicht aus. Noch fehlen Maßstäbe, nach denen die individuellen künstlerischen Prozesse nicht nur unter psychoanalytischen, sondern auch unter psychoästhetischen Gesichtspunkten beurteilt werden könnten. Sti­mulierung und Hemmung der Synapsen in Gehirn und Rückenmark vom willentlichen Impuls bis zur Ausführung des Striches wurden für das Experiment nicht erfaßt. Einige Formelemente sind zu Vergleichszwecken in nebenstehender Tabelle zusammen­gefaßt.
An einem Beispiel aus der Versuchsreihe sei die Vielschichtigkeit der zur Diskussion stehenden Fragen illustriert. Peter Collien verspürte während des Malens den An­trieb, die Zeichnung (eine Figur) in allen Dimensionen zu vergrößern. Das Format des Papiers reichte ihm nicht mehr aus, er verlangte immer größere Bögen.13
Wir kennen dieses Phänomen im Rahmen der Wahrnehmungsveränderungen als Makropsie: Gegenstände werden größer gesehen, als sie in Wahrheit sind. Auf die Psyche bezogen, ist die Vergrößerung eines Objektes in der Phantasie Zeichen für die erhöhte Bedeutung, die dieser Gegenstand für die Versuchsperson hat. Hier erhebt sich die Frage, ob wir diesen Vorgang bereits unter das Phänomen des ‘Magischen Malens’ einreihen können. Im LSD-spezifischen Sinn des Magischen Malens würden das intui­tive Anschauungsbild und die Darstellung miteinander verschmelzen; das heißt hier: die Bedeutung, die der Proband dem Gegenstand gibt, stellte sich zugleich bildhaft dar, erhöhte Bedeutung und großdimensionale Darstellung wären eins.
Es bietet sich aber auch eine formal-ästhetische Interpretation an: Peter Collien hat, bevor er zu Mac Zimmermann in die Malklasse an der Berliner Hochschule für Bildende Künste kam, wandgroße Bilder gemalt; unter anderem entwarf er Bühnen­bilder für die Balletttruppe seiner Mutter, einer namhaften Tänzerin. Die Vermutung, daß es sich in dem LSD-Versuch um eine ‘künstlerische Regression’ handelte, ist nicht von der Hand zu weisen. Der Begriff ‘künstlerische Regression’ steht hier für einen bildnerischen Rückgriff auf eine vom Künstler früher angewandte Darstellungsart; sei es in bezug auf formale Bildelemente wie die Verwendung einer bestimmten Farb­skala, eine Schraffurtechnik oder ähnliches, sei es im Hinblick auf bildnerische Inhalte, die den Maler zu einem früheren Zeitpunkt beschäftigt haben. Ebenso können Stil­elemente aus einer früheren Schaffensperiode des Künstlers zitiert werden, die sich im Verhältnis zur jetzigen Malweise fremd ausnehmen. Auf das Beispiel Collien bezogen: Unter LSD war die phantastische Realistik durch eine expressive Geste ersetzt. Man könnte dieses Phänomen als Ausbruch aus der bildnerischen Mikrowelt bezeichnen, d. h. aus der Enge einer feinziselierten grafischen Gestaltung.
c Künstlerische Regression
Der im allgemeinen Sprachgebrauch meist durch Definitionen der Psychoanalyse Freud­scher Spielart determinierte Begriff der Regression steht zur Kunst in Beziehung, wenn sie »in ihrem elementarsten Impuls« als »Rückkehr des Gespaltenen zur Einheit«, als »auf eine elementare und libidinöse Weise dem Fortschritt entgegensetzt« verstanden wird.14 Regression meint psychoanalytisch etwas Negatives: das in der Regel angst­besetzte Zurückweichen auf eine frühkindliche Entwicklungsstufe; die auf lernpsycholo- gischen Einsichten basierende Psychotherapie würde eine »Dedifferenzierung des Ver­haltens« erkennen und von hier aus die Wiederherstellung einleiten. Im genannten Zusammenhang bezeichnen wir mit Regression jede Form des zeitlichen Zurückversetzt­werdens, ohne Berücksichtigung ihrer Genese und Wirkung. Wie in einer Zeitmaschine sieht sich der Proband in einer ihm von früher bekannten Situation wieder; ebenso mag ein zuvor verdrängtes Erlebnis wirklichkeitsgetreu reproduziert werden.
LSD-bedingte Rückblenden sind Traum-Sequenzen, die sich über einen größeren Zeitraum erstrecken, vergleichbar: Einige Aspekte verschwinden, während andere sich verdeutlichen; der Sinngehalt wird allmählich herausmodelliert, vorausgesetzt, daß eine Bewußtmachung der Erlebnisse mit den Modifikationen einhergeht. Wie die oft nur schattenhaften Trauminhalte im Wachzustand zur Klärung, Erklärung und Vervoll­ständigung mit assoziativen Bildern und Motiven aufbereitet werden (ohne daß Ge­träumtes und Hinzuphantasiertes dann noch klar zu trennen sind), verändern sich die unter der Drogenwirkung erlebten Reminiszenzen noch im Fluß des Erlebens, werden sie von der aktiven Phantasie gewandelt. Die Unzulänglichkeit der Sprache als Bedeu­tungsträger im Verhältnis zu dem Facettenreichtum der Eindrücke verweist die Ver­suchsperson auf das Schemenhafte ihrer Schilderung; sie reagiert mit Vereinfachungen. Schwierig bleibt auch festzustellen, wie weit das regredierte Originalerlebnis bereits von unbewußten Impulsen mutiert wurde. Bei Gerhard Hoehme bestand der Inhalt der Regression aus affektbetontem Erleben, Lothar Fischer förderte vom Affektiven her unerhebliches, vorwiegend formalästhetisches Material aus der Schublade des ‘Künstle­rischen Bewußtseins’. Eine positive Regression erlebte Thomas Häfner: er registrierte das Geborenwerden, das »Herausrutschen aus engen Röhren«, den zeichnerischen Drang zur Selbstverwirklichung. Von einer »progressiven Kindlichkeit«15 ließe sich auf dieser Stufe sprechen.
Zwischen der psychoanalytischen und der formal-ästhetischen Interpretation gibt es Übergänge. Die Gefahr der hier aus Gründen der Übersicht vorgenommenen Eintei­lung liegt darin, daß sie als strenge Klassifizierung mißverstanden werden könnte. Absicht des Verfassers ist es aber, die Ergebnisse der Versuchsreihe als Diskussions­material zur Verfügung zu stellen. Unter diesem Aspekt sollen auch die kommentieren­den Zusammenfassungen verstanden werden, mit denen die Schilderung der einzelnen Versuche jeweils abschließt. Der Verfasser ordnet seine Eindrücke und bleibt dabei nahe am bildnerischen Phänomen.
6 Inhalte der illusionären und hailuzinativen Wahrnehmung
Die Inhalte werden in drei Hauptgruppen unterteilt, wobei die Übergänge fließend sind.
a Archetypen und hochentwickelte Symbole
Gemeint sind traumähnliche Bilder und Situationen, tierische und menschliche Gestalten. Besonders häufig treten auf: Käfer von überdimensionaler Größe, Schlangen, Löwen, Pferde, Quallen, Polypen, Spinnen. Es erscheinen Könige, Sagengestalten oder gute Bekannte: »Figuren, die mich an meinen Vater er­innern«. Halluziniert werden Landschaften, Stadtbilder, geheimnisvolle Orte von symbolischer Bedeutung. b Niedere Symbole und ornamentale Zeichen oder Muster
Gemeint sind nach Maßgabe der Versuchsreihe Kristalle, Zahlen, Buchstaben, Teppichmuster, vieldeutige Kunstgebilde, niedere Tiere wie Muscheln und Schnek- ken, einfache vegetative Formen, c Rhythmisch-ornamentale Gebilde
Dazu rechnen diffuse punkt- und kreis-, nieren- und ellipsenförmige, an- und abschwellende, rhythmisch sich ausbreitende, blitzartig wandernde Helligkeits­und Farbphänomene, außerdem Flächen, Funken, Sprühregen, Schlieren, Schleier, Hohlkörper webseite und geometrische Figuren.
Wir kennen all diese Elemente in ihrer Vielfalt aus der psychedelischen Kunst.
Diese komplizierten, vielgestaltigen, ungewohnten psychotoxischen Anschauungs­bilder werden von den gestaltbildenden Kräften der Psyche im Ensemble mit anderen Erlebnisqualitäten — etwa den Emotionen - zu kontinuierlichen Sequenzen inszeniert. Sie können, ähnlich wie die Figuren im Traum, nur aus einem größeren Zusammenhang heraus ‘verstanden’ werden.
7 Autosymbolik und Psychoanalyse




An solche Bilder mögen einige Versuchspersonen gedacht haben, die den Vergleich mit Brueghel oder Hieronymus Bosch bemühten, um ihre eigenen Bild-Erlebnisse unter LSD - die psychotoxischen Anschauungsbilder — zu beschreiben. In einer traumähn­lichen Landschaft bewegen sich fremdartige, skurrile Wesen, die sich häufig in einer triebhaft abnormen Weise betätigen: Gestalten, in die archetypische Sinngehalte einge­gangen sind, abgeleitet von jenen Ursymbolen, die nach der Auffassung von C. G. Jung Elemente des »kollektiven Unbewußten« sind. Dieses archetypische Erlebnispotential wird von den einzelnen psychoanalytischen Schulen sehr unterschiedlich beurteilt; gleichwohl stimmen sie darin überein, daß ihm ein gewisser Ausdruckswert zukommt. Es handelt sich also nicht um willkürlich und zufällig auftauchende Aspekte, sondern um eine Widerspiegelung seelischer Vorgänge, allerdings mit unterschiedlichem Stellen­wert.
Um diesen autosymbolischen Phänomenen ihren Ort in der Erlebnisgesamtheit der betreffenden Person anweisen zu können, wäre eine psychoanalytische Exploration notwendig, die Erhebung von Daten über Vergangenheit und Gegenwart im psychischen Selbstverständnis der Versuchsperson. Dabei wäre zu berücksichtigen, daß die unter der LSD-Einwirkung entlassene Autosymbolik als spezifische Äußerungsform auf dem jeweiligen Erlebnisplateau des Probanden verstanden werden muß. Mit dem Erleb­nisplateau wandelt sich auch der Modus der Mitteilung. Die Dechiffrierung der einem bestimmten Erlebnisplateau zugehörigen Äußerung von einer gewandelten Erlebnis­ebene aus ist schon nicht mehr möglich; ebensowenig hätte ein Außenstehender den Zu­gang, der ihn zur ‘Entschlüsselung’ der Symbolik befähigen würde.
Bei der Bearbeitung von archetypischem Sinngehalt durch den Probanden ergibt sich eine auffällige Ambivalenz:
1 Erkennende (analytische) und gestaltende Bearbeitung archetypischer Symbole setzt einen relativen Grad von Freiheit in einem